Die Wanderhütte

Wohl alle ehemaligen Schüler des Helmholtz-Gymnasiums und viele Eltern und Lehrer werden sich noch gern an ihre Aufenthalte in der Wanderhütte und an die Hüttenfeste erinnern, an Erlebnisse in der Gemeinschaft, die sie fern der Stadt im Landheim ihrer Schule bei Schloß Holte hatten. Im Laufe der Jahre wandelten sich sowohl das Heim als auch das Leben in ihm und die ländliche Umgebung, in der es ursprünglich gelegen war. Unvollständig wie die Unterlagen und Berichte sei hier versucht, einige Stationen in der Entwicklung der Wanderhütte aufzuzeigen.

Es war schon ein besonderes Ereignis als die damalige Oberrealschule der Stadt Bielefeld zum 25jährigen Bestehen als Jubiläumsgeschenk der Eltern und ehemaligen Schüler eine Wanderhütte erhielt. Auch die Bielefelder Presse berichtete darüber und schrieb am 11. Januar 1921:

“Was hat man sich unter einer Wanderhütte vorzustellen? Welche Bestimmung wird sie haben und welchen Nutzen für Schüler und Lehrer? Die Senne ist ein beliebtes Ziel für Wanderungen und ein unbeschränkter Tummelplatz für unsere Jugend. Dort wird die Wanderhütte erstehen, in der Nähe von Schloß-Holte, nicht zu nahe der Stadt und nicht zu fern dem Gebirge. Als kleines Bauernhaus in Fachwerkausführung wird sie sich dem Charakter der Landschaft und der heimischen Bauart anpassen. Das Erdgeschoss wird die Diele, einen Wohnraum, die Küche und einen kleinen Raum für die Unterbringung von Geräten usw. enthalten. Das Dachgeschoss ist als großer Schlafraum vorgesehen, in dem teils auf Strohlagern, teils auf Feldbetten etwa 50 Schüler Platz finden können. Für Abkochen im Freien wird auch eine fahrbare Feldküche zur Verfügung stehen.

Diese Hütte wird natürlich, weil eben der Anmarschweg nicht zu kurz bemessen ist, das Ziel mancher monatlichen Tageswanderung sein. Im Laufe des vormittags langt man dort an, es wird gekocht und gemeinsam gegessen. Der Platz ist so ausgewählt, dass in unmittelbarer Nähe der Hütte ein größeres Gelände Gelegenheit zum Spielen und Turnen gibt. Besonders begrüßt werden wird von den Schülern gewiss auch die Möglichkeit, in einem nahe liegenden kleinen Gewässer zu baden. Diese Stätte wird nun nicht nur Rastplatz sein, sondern vielleicht auch der Veranstaltung von kleinen Spielfesten, von Schüleraufführungen und dergl. dienen. Ja, es ist sogar beabsichtigt, hin und wieder den Vormittagsunterricht dieser und jener Klasse dorthin ins Freie zu urerlegen. Damit wird ja meistens ein Übernachten verbunden sein, und eben diese Unterkunftsmöglichkeit macht den Besitz einer solchen Hütte besonders wertvoll. Einzelne Schüler oder eine ganze Klasse von ihrem Lehrer begleitet ziehen am Samstagmittag Ios, übernachten dort und kehren Sonntagabend zurück. Auch die zweitägigen Wanderungen der oberen Klassen können die Hütte zum Ziel nehmen, Streifzüge in die Umgegend werden manchen Gewinn und manche Freude bringen. Selbst wenn die Hütte nur eine Etappe auf einer weiteren Fahrt ist, die Möglichkeit zu übernachten wird in jedem Fall eine wesentliche Verbilligung der Wanderung bedeuten . .

Am 12. Mai 1921 wurde bei prächtigem Wetter unter Teilnahme der Elternschaft die Wanderhütte eingeweiht. Fast zwanzig Jahre lang, bis zum Zweiten Weltkrieg, wurde sie in der beschriebenen Weise genutzt.

Schon wenige Jahre nach dem Krieg, im April 1949, war es durch den unermüdlichen Einsatz der “Ehemaligen” möglich, die Wanderhütte wieder in Betrieb zu nehmen. Viele Sach? und Geldspenden und viel persönlicher Arbeitseinsatz von allen Seiten waren nötig, um die Hütte in einen solchen Zustand zu versetzen und so auszustatten, dass sie wieder als Schullandheim genutzt werden konnte. Das ging nur allmählich, denn die Mittel des “Verein Wanderhütte” waren begrenzt und Zuschüsse von der Stadt und vom Land flossen nur spärlich.

Auch das Leben in der Wanderhütte hatte sich gewandelt. Während sie früher nur kürzeren Aufenthalten diente, fuhren nun während des Sommerhalbjahres regelmäßig alle Klassen der Unter? und Mittelstufe, zum Teil auch der Oberstufe, mit ihrem Klassenlehrer in die Hütte, um eine Woche lang Unterricht in anderer Umgebung und vielleicht auch auf andere Art und Weise zu erleben, losgelöst vom starren Stundenraster der Schule. Natürlich kamen auch Sport und Spiel nicht zu kurz, und ausgedehnte Wanderungen im Holter Wald oder auch bis nach Oerlinghausen waren des einen Freud und des anderen Leid. Über allem aber stand das Leben in einer größeren Gemeinschaft, das mancher Städter hier zum ersten Mal erlebte.

Der längere Aufenthalt der Gruppen erforderte nun auch eine andere Bewirtschaftung des Heimes. Zwar blieben als Pflichten der Tisch? und Küchendienst, das Kartoffelschälen und der Stubendienst, doch das Essen brauchte nicht mehr selbst gekocht zu werden. Hierfür sorgte nun ein Heimelternpaar mit ihren Hilfen. Einmal wöchentlich wurden von ihnen auch der Tagesraum und die Schlafräume gründlich gesäubert.

Eine Unterbrechung erfuhr der Hüttenbetrieb in den Jahren 1954/55. Bei einem Umbau im Jahre zuvor hatten sich Schäden gezeigt, die, wie sich jetzt herausstellte, so schwer waren, dass alles Holz des alten Teils der Hütte vollständig erneuert werden musste. Nur was nicht vom Holzwurm angefressen war blieb stehen. Erneut bedurfte es großer Anstrengungen, um den Wiederaufbau zu schaffen, und mit Spenden von Eltern, “Ehemaligen” und Lehrern und mit tatkräftiger Hilfe von vielen Freunden der Wanderhütte entstand wiederein schmuckes Heim, wie es sich auch 1965 noch darbot.
In den 70erJahren zeigten sich dunkle Wolken am Wanderhüttenhimmel. Schon in den 60erJahren hatte es Schwierigkeiten gegeben. Die Wanderhütte stand auf gepachtetem Grund und Boden, und der Pachtvertrag lief 1968 aus. Nach dem Vertrag wäre das Grundstück wieder in den ursprünglichen Zustand zu versetzen gewesen, was auch den entschädigungslosen Verlust des Hüttengebäudes bedeutet hätte. Nach langwierigen, schwierigen Verhandlungen mit dem Eigentümer des Geländes eröffnete sich dem “Verein Wanderhütte” schließlich die Möglichkeit, eine Parzelle von ca. 4000 m2, auf der das Hüttengebäude stand, käuflich zu erwerben und den Rest des Hüttengeländes zu neuen Bedingungen zu pachten. Trotz größter Finanzierungsschwierigkeiten entschloss sich der Verein 1968zu diesem Schritt. Auf diese Weise war sichergestellt, dass wenigstens der Wert des Hüttengebäudes dem Helmholtz?Gymnasium nicht verlorenging.

Mit der Einführung der Koedukation am Helmholtz-Gymnasium traten neue Probleme auf. Die Wanderhütte war ganz auf den Besuch von reinen Jungenklassen eingestellt, da unser Gymnasium eine Jungenschule war. Für den Besuch von gemischten Klassen waren aber weder die Schlafräume noch die sanitären Anlagen eingerichtet. Ein entsprechender Umbau hätte die finanziellen Möglichkeiten des “Verein Wanderhütte” bei weitem überschritten. Hinzu kam, dass sich die nähere Umgebung des Heimes durch Neubauten so verändert hatte, dass kaum noch von einem Landschulheim gesprochen werden konnte. Als mit der Einführung der reformierten Oberstufe und ihrem Kurssystem praktisch keine Möglichkeit mehr bestand, die Wanderhütte auch mit Oberstufenklassen zu belegen, war das Heim auch wirtschaftlich nicht mehr zu halten. So entschloss man sich schweren Herzens, die Wanderhütte zu verkaufen. Im Januar 1980 hörte sie auf, das Schullandheim des Helmholtz?Gymnasiums zu sein.

Wie ging es weiter? Der Kauf des Hüttengrundstückes erwies sich jetzt als gute Anlage. Der Erlös aus dem Verkauf konnte günstig angelegt werden, und aus den Zinserträgen wurden viele Anschaffungen zugunsten der Schule und ihrer Schüler gemacht. Der neuen Situation entsprechend änderte der “Verein Wanderhütte” auch seinen Namen und ist nun als “Freundeskreis Helmholtz?Gymnasium” weiter zum Wohle unserer Schule und ihrer Schüleraktiv. Aber auch die Wanderfahrten kamen nicht zu kurz, nur führten sie jetzt zu Jugendherbergen und anderen Schullandheimen. Verschiedene Klassen verbrachten dabei auch einige Wochen im “Inselheim” auf Wangerooge. Es gefiel dort allen so gut, dass der “Freundeskreis” beschloss, sich finanziell an diesem Heim zu beteiligen. So haben die Schüler des Helmholtz?Gymnasiums auch weiterhin die Möglichkeit, in einem schönen Schullandheim regelmäßig ein paar Wochen in der Klassengemeinschaft zu verbringen.
Projektgruppe Bethge

aus: Helmholtz – Gymnasium 1896 – 1986, Projektwoche “Eine Schule in ihrem Bezirk – in ihrer Stadt – in ihrer Region”, Bielefeld 1986, S. 13 – 17